Dichtung ist ein universales Phänomen. Doch entsteht sie überall unter ähnlichen Voraussetzungen? Ein genauerer Blick zeigt, dass Dichten viel­fach als ein gewöhnliches Handwerk verstanden wird. Darauf verweisen Begriffe wie Verse­schmied oder Jadeschleifer, Vers oder Text. Der Vortrag untersucht an einer Reihe von Bei­spie­len, wie im Alten China ein Gedicht entstand, welche Funktion sein Verfasser in Ge­sell­schaft und Politik einnahm und wie seine Verse bewertet wurden. Aus der Betonung hand­werklichen Könnens ergibt sich auch die Frage nach der Erlernbarkeit des Dichtens.

Zeigen wird sich, dass die chinesische Poetik des Altertums Gemein­samkeiten mit Vorstellungen des europäischen Mittelalters auf­weist, aber möglicherweise Leser enttäuscht, die an Goethe und Hölderlin geschult sind.

Volker Klöpsch (geb. 1948) studierte Germanistik, Anglistik, Verglei­chende Lite­raturwissenschaft und Sinologie auf verschiedenen Kontinenten. Er lehrte in Taipeh, Bochum und Köln, legte zahlreiche Übersetzungen von Lyrik und Prosa aus verschiedenen Epochen der chinesischen Literatur vor, gab mit Eva Müller das Lexikon der chinesischen Literatur (München 2004) heraus und ist Begrün­der und langjähriger Mitherausgeber der Hefte für ostasiatische Literatur.